7. März 2011

Nottingham Open 2011

Tom Hebel und Andreas Lazar sind am 5. und 6. März unter dem schlichten Teamnamen „Stuttgart“ beim Nottingham Open 2011 in England angetreten. Die sonst weltbekannte deutsche Kreativität ließ uns im Stich, so dass wir gegen Teams mit Namen wie „LSE – Libyan School of Economics“ oder „We Are Here To Steal Your Jobs“ kämpfen mussten.

Der Flughafen Stuttgart am sehr frühen Morgen
Die Schilderung der Reise fällt einseitig aus, da Andreas einen anderen Flug nahm. Die Größe des Stuttgarter Flughafens war ein erfreulicher Beginn meiner Reise nach Nottingham, da die Findung des richtigen Gates lediglich 30 Sekunden benötigte: „Nach dem Ausgang rechts“, riet mir die Dame, die mein Gepäck auf gefährliche Wasserflaschen und Seife inspizierte. Allerdings verzögerte sich der Abflug wegen technischer Probleme, so dass ich meinen Anschlussflug am Pariser Charles-de-Gaulle-Flughafen verpasste. Am Serviceschalter „32A“ traf ich dort zwei reizende Damen aus Deutschland, die denselben Flug verpasst hatten, jedoch nicht wegen technischer Probleme, sondern weil die originelle Beschilderung in Paris zu einem ungewollten Spaziergang von Terminal 2D zu Terminal 2E von über einer Stunde geführte hatte. Die eine Dame – eine gebürtige Frankfurterin – die viel von französischer Kultur zu verstehen schien, informierte mich, dass die verwirrende Beschilderung und das labyrinthische Gebäude des Terminals 2 eigentlich typisch französisch seien: „Hauptsache, es sieht gut aus“. Die Architektur des Flughafens war tatsächlich ein Augenschmaus ...

Glatter lief es dann in England, da es dort ein praktisches Busnetz gibt, das Fahrten zu erschwinglichen Preisen zwischen den meisten Großstädten anbietet. Erstaunlich war die Hilfsbereitschaft der Engländer: Als ich mich zuerst verfahren hatte und an der falschen Uni gelandet war (Nottingham hat zwei), erklärte mir eine nette Inderin, wie man am Besten zum Treffpunkt kommt. Das war nicht alles: Sie fuhr sogar ein Stück mit mir mit, damit ich die Bushaltestelle nicht verpasste. Nach Ankunft am Freitagabend genossen die Frühankömmlinge zum Turnier ein kühles Bier mit den Orga-Zuständigen in einem der Innenstadt-Pubs Nottinghams, bevor uns Schlafplätze zugeteilt wurden und wir uns auf den Weg ins Bett machten. Ich hatte Glück, denn ich durfte auf Sofakissen schlafen und nicht wie zwei meiner kurz davor im Pub getroffenen Bekannten aus London auf dem nackten Fußboden.

Am nächsten Morgen fing nach einstündiger Verspätung die Einführungsveranstaltung an. Andreas und ich begrüßten einander verschlafen, und wir nahmen unsere Plätze ein. Das Turnier bestand aus fünf Vorrunden, einem Halbfinale und einem Finale. In den letzten zwei Vorrunden gab es kein Feedback, damit nicht von vornherein klar war, wer weiterkommt. Es gab insgesamt 88 Redner in 44 Teams, wobei wir als einziges internationales Team für lau mitmachen durften. Nach einer Begrüßungsrede eines jungen Herren in einem Dicke-Frau-Kostüm und Makeup, das dem der Damen aus dem Stuttgarter Bohnenviertel glich, erhielten wir die erste Motion: „As the parent of a child with sufficient talent, this house would not let them become a child star“. Da weder Andreas noch ich Kinder haben, die wir willentlich als unsere anerkennen, basierten unsere Reden auf uninformierten Vermutungen. Wir nahmen den dritten Platz ein, auch weil wir von Vignesh Ashok und Sayeqa Islam unbarmherzig, aber sehr beeindruckend auseinandergenommen wurden. Die anderen zwei Debatten vor dem Mittagessen waren im Schnitt genauso erfolgreich. Die Motions lauteten jeweils „This house would fund opposition parties participating in unfair elections“ und „This house believes that the depiction of sex and sexuality by female RnB artists, such as Rihanna, is empowering“. Zur letzteren Motion ist anzumerken, dass sowohl Andreas als auch ich guten Musikgeschmack bewiesen, denn wir konnten lediglich Rihanna und Beyoncé als RnB-Sängerinnen nennen, wovon eine bereits im Thema angegeben war.

Die Teilnehmer warten auf das nächste Thema
Das Mittagessen war unterhaltsam, vor allem deshalb, weil es keine richtige Mahlzeit war: Ein „Meal Deal“ im Uniladen, in dem wir uns mit Essbarem eindeckten, bestand aus einem Sandwich, einer kleinen Tüte „crisps“ und einem kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränk. Nach dieser Pferdedosis Kohlenhydrate und Zucker waren wir bereit für die letzten zwei Runden, die jeweils mit den Motions „This house would not pay benefits to people who will not leave areas where economic development is unlikely“ und „This house would apply the prohibition on entrapment to journalists“ versehen waren. Zu letzterem Thema ist hinzuzufügen, dass es sich hierbei um „entrapment“ im Sinne vom Provozieren von Straftaten (normalerweise durch die Polizei) handelt und im Kontext der polarisierenden Aussagen des britischen Politikers Vince Cable im Dezember 2010 zu verstehen ist. Wir nahmen jeweils den zweiten und, etwas unglücklich, den vierten Platz ein.

Nach fünf Debatten war es angemessen, ausgiebig von diversen Benebelungsgetränken zu kosten, was am Samstagabend auf Kosten des nottinghamschen Debattierclubs geschah. Für diese Absch(l)ussfeier war die obere Etage desselben Pubs wie am Freitagabend angemietet worden. Eine weitere angenehme Überraschung war das warme Buffet, das zwar wenig Gemüse anbot, dafür aber umso mehr frisch gebratenes Fleisch. Eine Schlange war schnell geformt – die Briten sagen von sich, dass sie zwei Dinge besonders gut können: „moaning and queueing“ – die jedoch schnell zu einem eigenen Wettbewerb ausartete: es schien das Ziel zu sein, einen möglichst hohen Turm aus Essbarem auf seinen Teller zu häufen, so dass man später nicht ein zweites Mal Schlange stehen musste. Dieses zweite Mal kam tatsächlich nicht, denn das Essen war weg, bevor die letzten Debattierer zum Buffet gelangen konnten.

Nach einer turbulenten Nacht war es soweit: Der große Tag des Finales war da. Nach einem Frühstück, das aus einem „sausage roll“ und einer Banane bestand, machte ich mich mit meinem Schlafplatzanbieter auf den Weg zur Uni. Die University of Nottingham hat fünf Campus, wobei der größte (wo auch die Debatten stattfanden) laut Wikipedia 1,3 Quadratkilometer einnimmt, inklusive eigenem See. Er ist so groß, dass er eine eigene Buslinie hat, die eine Stunde braucht, um ihn zu umrunden. Zwar ist das Gelände meiner eigenen Uni Hohenheim zweifelsohne noch größer (die Institution ist als weltführende Agraruni größter Landbesitzer im Raum Stuttgart), dafür befinden sich in Nottingham vermutlich weniger Rinder auf dem Universitätsgelände. Nach der Verkündung der Motion des Halbfinales teilte sich die Gruppe der Zuschauer in zwei, um jeweils einer der Debatten beizuwohnen. Das Thema lautete „This house believes Edward Woollard should be completely exonerated“. Es bezieht sich auf einen britischen Schüler, der während der Proteste gegen die Anhebung der Studiengebühren in Großbritanien einen leeren Feuerlöscher aus sieben Stockwerken Höhe in eine Menschenmenge warf und dafür zwei Jahre und acht Monate Gefängnis erhielt. Schließlich hieß die Motion des Finales „This house believes nationalism should not be given a voice in political discourse in the UK“. Bei der Siegerehrung wurde klar, dass keiner gegen Sam Block, der mit fast 85 Punkten pro Rede als bester Redner gekürt wurde, und Jack Gamble ankommen konnte: Sie gewannen als Team "More On That Story Later" das Turnier.

Zum Schluss möchte ich mich herzlich beim Organisationsteam bedanken, das ein hervorragendes Turnier organisiert hat, so dass selbst viele alte Debattierhasen sagten, es sei das beste Nottingham Open überhaupt gewesen. Auf ein baldiges Wiedersehen!

Text: Tom Hebel